Eine aus einem Grundstück mit dem Pkw in den Straßenverkehr Einfahrende kann bei einer Kollision mit einer Fahrradfahrerin auch dann den Unfall verursacht haben und für die entstandenen Schäden allein haften, wenn die Fahrradfahrerin verkehrswidrig nicht den gekennzeichneten Fahrradweg benutzt hat, sondern auf der Straße gefahren ist. So entschied das Landgericht Hanau (Az. 2 S 65/22).
Die Pkw-Fahrerin beabsichtigte, mit ihrem Pkw aus ihrem Anwesen auf die Straße einzubiegen, und tastete sich in diese ein. Die Sicht war durch am Fahrbahnrand geparkte Fahrzeuge erschwert. Auf der Hauptfahrspur näherte sich zugleich eine Fahrradfahrerin, obwohl an der Unfallstelle ein kombinierter Fahrrad-/Fußgängerweg existierte. Es kam zur Kollision, in dem das Fahrrad gegen die linke vordere Seitenwand des Pkw stieß. Die Pkw- Fahrerin klagte die Hälfte des an ihrem Fahrzeug entstandenen Schadens ein und meinte, die Fahrradfahrerin treffe ein Mitverschulden, weil sie verkehrswidrig nicht den Fahrradweg benutzt habe.
Das Gericht vertrat die Auffassung, die Pkw-Fahrerin habe aufgrund des Verstoßes gegen das in § 10 Satz 1 StVO festgehaltene Sorgfaltsgebot beim Einfahren von einem Grundstück in den Straßenverkehr den Unfall allein verursacht. Ein Mitverschulden der Fahrradfahrerin an der Kollision sei zu verneinen. Diese habe zwar gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO durch Nichtbenutzung des gemäß Zeichen 241 StVO ausgewiesenen Radwegs verstoßen. Auch wäre der Unfall möglicherweise nicht geschehen, weil sich das Fahrrad bei Benutzung des Radwegs im Moment des Einfahrens des Pkw in die Straße an einer anderen Stelle befunden habe. Die Nutzungspflicht für Radwege soll jedoch keine Kollisionen mit Pkw verhindern, die aus einem Grundstück in die Straße einfahren. Es soll vielmehr Gefahren eines gemischten Verkehrs begegnet werden. Insbesondere dienen getrennte Radwege dem Schutz von Radfahrern im dichten Verkehr mit geringen Seitenabständen.