Wenn ein Unfallgeschädigter deutlich die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn überschreitet und der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre, kann eine Mithaftung in Höhe von 25 % angemessen sein. So entschied das Oberlandesgericht München (Az. 10 U 7382/21 e).
Auf einer Autobahn kam es im Zusammenhang mit einem Spurwechsel zu einem Verkehrsunfall. Der Spurwechsler hatte den Unfall maßgeblich verursacht. Strittig war, ob dem Unfallgeschädigten eine Mithaftung anzulasten sei, weil er die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h um 70 km/h überschritten hatte. Ein Sachverständiger hatte ausgeführt, dass der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre. Das Landgericht München I entschied, dass der Spurwechsler allein für die Unfallfolgen hafte. Ihm sei ein grobes Verschulden anzulasten, sodass die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs vollständig zurücktrete. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Beklagten.
Das Oberlandesgericht gab dem Beklagten Recht. Dem Kläger sei eine Mithaftung in Höhe von 25 % anzulasten. Zwar treffe den Spurwechsler bei einem Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 7 StVO im Regelfall die Alleinhaftung, da die einfache Betriebsgefahr des anderen Kraftfahrzeugs hinter sein gewichtiges Verschulden zurücktrete. Hier sei jedoch die deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um 70 km/h betriebsgefahrerhöhend zu berücksichtigen. Dies und die Tatsache, dass der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre, begründe die Mithaftung. Wer auf der Autobahn schneller als 130 km/h fahre, vergrößere in haftungsrelevanter Weise die Gefahr, dass sich andere Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellten und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzten. Auch wenn die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit keinen Schuldvorwurf begründe, bedeute dies nicht die rechtliche Irrelevanz für das Haftungsrecht.