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13. April 2022 – Tax
Nachweis der kürzeren Restnutzungsdauer eines Gebäudes durch Wertgutachten

Wird im Rahmen eines Wertgutachtens die Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach der Wertermittlungsverordnung bestimmt, kann diese nach einer rechtskräftigen Entscheidung des Finanzgerichts Münster der Berechnung des AfA-Satzes zugrunde gelegt werden (Az. 1 K 1741/18 E).

Im Streitfall erwarb der Kläger im Jahr 2011 im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens ein Grundstück mit einem im Jahr 1955 errichteten Gebäude, das er seitdem zur Erzielung von Mieteinkünften nutzte. Das Amtsgericht hatte im Zwangsversteigerungsverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Grundstückswerts auf den Stichtag 17.05.2010 in Auftrag gegeben. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige machte in seinem Gutachten u. a. Angaben zum Modernisierungsstand und zu erforderlichen Instandsetzungsarbeiten. Er kam danach zu einem fiktiven Baujahr von 1960 und zu einer Restnutzungsdauer des Gebäudes von 30 Jahren. Dem Gutachten legte er die Regelungen der zum Stichtag gültigen Wertermittlungsverordnung (WertV) zugrunde. Der Kläger machte in seinen Einkommensteuererklärungen (Streitjahre 2012 bis 2016) eine jährliche AfA des Gebäudes von 3,33 Prozent als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung geltend. Das beklagte Finanzamt berücksichtigte demgegenüber nur einen AfA-Satz von 2 Prozent, da das Gutachten weder eine kürzere technische Nutzungsdauer durch Darlegung eines materiellen Verschleißes der Rohbauelemente noch eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer im steuerrechtlichen Sinne belege. Die Ermittlung der Restnutzungsdauer im Sinne der WertV sei auf die steuerrechtliche Restnutzungsdauer nicht übertragbar, da sie nicht im Zusammenhang mit der gesetzlichen Typisierung der AfA-Regelung stehe.

Das Finanzgericht Münster hat der Klage in Bezug auf den AfA-Satz stattgegeben. Ein Gebäude sei zwar nach festen AfA-Sätzen (im Streitfall 2 Prozent pro Jahr) abzuschreiben. Bei einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer des Gebäudes als 50 Jahre könne jedoch nach Wahl des Steuerpflichtigen von entsprechend höheren Sätzen ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil IX R 25/19 vom 28.07.2021) könne sich der Steuerpflichtige jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheine. Entgegen der Ansicht des Finanzamts sei hierfür kein Bausubstanzgutachten erforderlich. Da für die Schätzung einer kürzeren Restnutzungsdauer keine Gewissheit, sondern allenfalls eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit erforderlich sei, könne die Schätzung des Steuerpflichtigen nach Auffassung des Finanzgerichts vielmehr nur dann verworfen werden, wenn sie eindeutig außerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens liege. Der Sachverständige habe aufgrund sachlicher Kriterien eine von der gesetzlichen Typisierung abweichende geringere Restnutzungsdauer von 30 Jahren ermittelt. Er habe fundierte Ausführungen zu den erforderlichen Instandsetzungsarbeiten und zum Zustand des Gebäudes gemacht. Die modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer von 30 Jahren anhand der WertV sei für das Gericht nachvollziehbar und liege jedenfalls nicht außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens.